Fragen
Wie kam es zu der Entwicklung eures Markenmodells Atomic Branding?
Die Entwicklung von Atomic Branding als unser Modell für die Arbeit an Marken entstand, als wir erkannten, dass bisherige Ansätze Interaktionen und Kommunikation nicht angemessen berücksichtigten. Früher betrachtete man Websites einfach als verlängerte Image-Broschüren, ohne den wirklichen Dialogpotenzialen dieser digitalen Kanäle gerecht zu werden. Man dachte, man würde einfach dieselben Inhalte verwenden, ohne zu realisieren, dass der digitale Raum eine einzigartige Möglichkeit für Interaktion und Dialog bietet. In der Ära des Web 2.0 erwarteten viele einen direkten Dialog über Social-Media-Plattformen, aber die Realität sah anders aus. Die anfänglichen Erwartungen wurden nicht erfüllt, was zu einer gewissen Enttäuschung und einem Rückgang führte. Gestalter erkannten, dass eine Website mehr als nur ein Medium ist, das bespielt wird. Das Web 2.0 war ein wichtiger Wendepunkt, bei dem uns bewusst wurde, dass es nicht nur um Dialogmarketing geht, sondern um die Gestaltung des digitalen Interfaces und die Wirkung auf die Markenidentität. Wir begegneten Marken und Verantwortlichen, die vor der Herausforderung standen, dass ihre digitale Präsenz die Marke selbst repräsentiert und sich dementsprechend anfühlen muss. Wir verstanden, dass reine Features nicht mehr ausreichen, um sich zu differenzieren, und begannen darüber nachzudenken, wie sich ein Interface anfühlt und warum – ein entscheidender Punkt für die Marke. In diesem Kontext war es für uns interessant, zu überlegen, was die Marke in diesem digitalen Spielfeld wirklich ausmacht und wie sie sich differenziert, selbst wenn die Funktionen ähnlich sind. Es ging nicht nur darum, Produkte zu präsentieren, sondern darum, die Marke durch das digitale Erlebnis zu definieren.
Was unterscheidet Atomic Branding von anderen Ansätzen?
Atomic Branding unterscheidet sich auf mehreren Ebenen von anderen Ansätzen. Zum einen ist es ein integraler Bestandteil unserer Arbeitsweise. Es ist der Werkzeugkasten, den wir als eines unserer Modelle betrachten. In unserer gemeinsamen Arbeit legen wir großen Wert auf eine prägende Idee, eine Markenpositionierung oder -haltung, die in kurzen Sätzen formuliert werden kann – die DNA der Marke. Diese Idee bildet den Ausgangspunkt, von dem aus wir verschiedene Aspekte entwickeln. Wir betrachten dies in den Kategorien Design, Kommunikation und Technologie. Design ist dabei mehr als nur Dekoration. Es muss eine Form finden, die in der Kommunikation funktioniert. Gutes Design ist daher untrennbar mit effektiver Kommunikation verbunden. Die Integration von Technologie ist entscheidend, um Interaktionen zu ermöglichen und Services anzubieten, die über bloße Aussagen hinausgehen. Die Komplexität dieses Ansatzes wird durch das Management dieser Elemente und die Aktivierung der Marke ergänzt. Der Weg dahin, besonders im Bereich Design und Technologie, ist von Bedeutung, und hier kommen die Atomic Design Modelle ins Spiel. Wir haben uns diese Modelle angesehen, da wir viel im Interface-Bereich arbeiten. Im Gegensatz zu vorhandenen Design Languages haben wir jedoch festgestellt, dass ein neuer Ansatz erforderlich ist. Atomic Branding setzt früher an, basiert auf der zuvor beschriebenen Kernidee und schafft stabile Systeme, indem es Grundelemente systematisch zu kleinen Einheiten kombiniert. Die zeitlose Natur dieser Grundidee macht Atomic Branding einzigartig. Unsere kleinste Einheit, die Idee, ist der Bauplan für alles, was an Atomen und Molekülen in der Marke entsteht. Die Idee selbst sollte von verschiedenen Perspektiven betrachtet, hinterfragt und auf Herz und Nieren geprüft werden, um ihr volles Interaktions- und Wachstumspotenzial zu entfalten. Unsere Herangehensweise führt uns schnell zu Überlegungen über technologische Möglichkeiten. Eine gute Idee sollte nicht nur formal stark sein, sondern auch erhebliches Wachstumspotenzial in Bereichen wie Services bieten, um Mehrwerte für die Zielgruppen zu schaffen. In einer Zeit, in der Filter so hochgezogen sind und programmatisches Marketing oft ignoriert wird, ist es entscheidend, wie wir durch diese Barrieren brechen und echte Interaktionen schaffen können.
Wie ist der Prozess beim Atomic Branding?
Der Prozess beginnt oft damit, dass ein Unternehmen einen Schmerzpunkt spürt oder eine Herausforderung sieht, die eine Lösung erfordert. Es gilt, gemeinsam den Ausgangspunkt zu definieren, den Schmerzpunkt zu verstehen und Potenziale zu entwickeln. Der markenstrategische Prozess beinhaltet eine intensive Auseinandersetzung mit der Marke, ihrer kommunikativen Idee oder dem Produkt aus verschiedenen Perspektiven. Hierbei werden Fragen gestellt, die sowohl für Dienstleister als auch für den Kunden herausfordernd sein können, um ein tiefgreifendes Verständnis zu erlangen. Es gibt keine klare Trennung zwischen Gewerken wie Text, Konzeption, Programmierung und Design. Ein Team, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern von Text, Technologie, Design und Beratung, arbeitet gemeinsam an den Aufgabenstellungen, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Dies schließt ein Verständnis für den Kunden, die Aufgabenstellung und implizite Informationen auf Metaebene ein. Die Ideenfindung und Strategiebildung sind zentrale Bestandteile des Prozesses. Die Idee, die in einem Satz formulierbar sein sollte, bildet den Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung. Dabei wird viel Wert auf nachvollziehbare Methoden und Modelle gelegt, um schließlich zu einem gemeinsamen Verständnis der Marke zu gelangen. Die Bewertung eines visuellen Systems erfolgt durch eine Suche, die nicht unbedingt visuell sein muss. Kreativität und Gestaltung sind Übersetzungsleistungen, die oft durch die Arbeit mit Prototypen unterstützt werden. Der Prozess beinhaltet häufig das Testen von Ideen, das Erstellen von Prototypen und das Testen der Machbarkeit, bevor ein endgültiges visuelles System entwickelt wird. Die Arbeit mit Prototypen ist dynamisch und agil. Es gibt keine klare Abgrenzung zwischen den Phasen der Ideenfindung und der visuellen Umsetzung. Prototypen werden erstellt, um den Weg zu prüfen und gegebenenfalls neu aufzubauen. Inzwischen verfügt das Team über eine hohe Prozess- und Methodensicherheit, einschließlich einer eigenen Design Language und geteilter Libraries, die für Projekte genutzt werden. Dies ermöglicht es, schnell und effizient Prototypen in den digitalen Kanälen zu erstellen und ernsthaft über die Lösung zu diskutieren.
Was macht eine gute Kernidee aus?
Eine gute Kernidee zeichnet sich durch Einfachheit, Differenzierungspotenzial und inspirierendes Potenzial aus. Diese Treiber sind entscheidend für eine starke Kernidee. Lass mich überlegen, wie ich das am besten erklären kann. Ein Beispiel ist die Marke „tapio“, eine Softwareplattform für die holzverarbeitende Industrie, die wir gemeinsam mit HOMAG entwickelt haben. Die Herausforderung bestand darin, die Software auf einer Messe zu präsentieren, auf der auch andere Unternehmen ähnliche Produkte vorstellen würden. Anstatt eine Kampagne zu entwickeln, haben wir uns intensiv mit der Software und ihrer Anwendung beschäftigt. Darauf hin entschieden wir gemeinsam mit den Verantwortlichen bei HOMAG an der Marke und der Applikation selbst zu arbeiten. Wir haben die Grundidee definiert, die sich als eine zweite Ebene von handwerklicher Intelligenz herausstellte – eine zweite Ebene, die mehr sieht als unsere Wahrnehmung abbilden kann. Schließlich haben wir den Namen „tapio“ ausgewählt, eine Kombination aus dem finnischen Waldgott „tapio“ – Herrscher über die Wälder und das Grundmaterial der Branche und „tap“, wie die Interaktion sowie „i/o“ für input und output. Das war der entscheidende Moment, in dem alles zusammenkam und sich gut anfühlte. Für den Kunden. Für uns. Und schlussendlich die Zielgruppen. Die Idee konnte auf einer A4-Seite in drei Sätzen definiert werden: tapio macht digitales Woodworking, die Metaebene sind die Daten, um die Komplexität zu handhaben. Von da an haben wir das Interface entwickelt, damit es im Industrieumfeld funktioniert. Die Kernidee wurde durch diesen Prozess gestärkt und hat bis heute ihre Tragkraft behalten. Dieses Beispiel zeigt, dass eine starke Kernidee nicht nur durch einen sauberen Prozess, sondern vor allem durch ihre Ausformulierung und Umsetzung an Stärke gewinnt. Ein weiteres Beispiel ist unsere Arbeit für die Stadtwerke Magdeburg. Auf gute Nachbarschaft. Hier bezieht sich alles auf diesen Gedanken der Nachbarschaft und Nahbarkeit. Vom Design Prinzip über die Kommunikation bis hin zum Interface und der Ansprache der Nutzer:innen – auch eine sehr runde Sache in meiner Wahrnehmung von gelungenen Marken. Wir haben inzwischen einige Marken im Portfolio, die unserem Anspruch hier folgen. Weniger erfahrene Gestalter:innen bekommen von mir die Aufgabe, ihre Idee auf einer Achse zwischen sachlich und emotional und statisch und interaktiv zu testen. So können sie ihre Kernidee anhand von Anwendungen im Spektrum der Achse der emotionalen Aussteuerungsmöglichkeiten prüfen. Sie dient dazu, die Tragfähigkeit der Kernidee zu verifizieren. Diese Achse hat eine horizontale und eine vertikale Dimension. In der horizontalen Achse geht es darum, wie die Idee in verschiedenen Kontexten zwischen sachlich und emotional darstellbar ist. Zum Beispiel auf der einen Seite in Form eines Data Sheets mit informellem Design für trockene, schwarz-weiße Informationen und auf der anderen Seite ein Messestand oder eine hochwertige Präsentation mit einem höheren emotionalen und Image-Anteil. Diese Dimension soll die Fähigkeit der Marke zeigen, unterschiedliche „Lautstärken“ in ihrer Darstellung zu bewältigen. Die vertikale Achse bezieht sich darauf, wie die Idee in statischen und bewegten Zuständen funktioniert. In einem statischen Zustand könnte dies beispielsweise eine klassische zweidimensionalen Gestaltung sein, während im bewegten Zustand die Marke durch Interaktion, Sprache oder physische Berührung erlebbar wird. Diese Achse soll verdeutlichen, wie die Marke in unterschiedlichen Aktivitäts- und Interaktionsniveaus funktioniert und wahrgenommen wird.
Wie arbeitet ihr mit Figma Libraries?
An der Weiterentwicklung sind wir permanent dran. Es gibt keinen abgeschlossenen Prozess. Es würde mich echt wundern, wenn das jemals fertig ist. Wir haben damit aus dem Bedarf heraus angefangen – Websites, Microsites, Kampagnenseiten. Da brauchten wir irgendwann einen Baukasten. Dann sind immer höhere Ansprüche dazu gekommen. Wir haben auch darüber nachgedacht, wie sich die Differenzierung der Marke anfühlt. Und haben sogar angefangen für unsere Kunden, die zum Beispiel im Energiehandel unterwegs sind, Trading-Oberflächen zu machen. So wuchs die Library, wir konnten immer mehr Funktionen abbilden. Und gleichzeitig haben wir ein Produkt, mit dem wir die Sachen gleich dokumentieren. Da kommen immer neue Ansprüche dazu. Wir haben Generatoren, die aus einer Headline und einem Bild Social Media Postings machen. Das ist ein Werkzeug, eine Interaktion. Diese Interaktion muss gedacht und aufgesetzt werden. Und die fließt dann wieder zurück in einen großen Pool, aus dem wir uns bedienen. Aus dem schöpfen und reinterpretieren wir. Gerade übertrage ich diese Art des Entwickelns hinüber in die klassischere Markenwelt. Ich möchte einen Zustand erreichen, in dem man mit einer Idee, Farben, Typografie und visueller Sprache – zack, zack, zack – zehn Medien machen kann. Schauen kann, wie sich das anfühlt. Bisher war das abhängig von den Skills der jeweiligen Kolleginnen, die daran arbeiten. Leute, die das seit einer Ewigkeit machen, ziehen in drei Tagen ein komplettes System hoch. Das ist einfach eine andere Art der Geschwindigkeit. Ich möchte aber auch jungen Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit geben, so was zu machen. Es soll nicht daran scheitern, dass sie in der Achse zwischen Hirn und Hand noch nicht die Muskeln haben wie andere Leute. Deswegen möchte ich den Rapid Prototyping Prozess viel besser aufstellen und die Design Language massiv erweitern.
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zwischen Softwareentwicklung und Branding?
Beides ist im Kern eine hoch systemische Arbeit und eine Art zu denken, die letztendlich auf Sprache, Codes und Übersetzung derer basiert. In meiner Perspektive als Designer, insbesondere im Vergleich zur Softwareentwicklung, vermisse ich jedoch oft den Innovationsdruck. Die Entscheidungen im Design sind mit einem hohen Aufwand verbunden, insbesondere wenn bereits viel Zeit und Ressourcen in ein Konzept investiert wurden. Daher ist Rapid Prototyping ein gutes Mittel, um Ideen frühzeitig auszuloten und schnell zu bewerten. Ich wünsche mir mehr Möglichkeiten für Prototyping in verschiedenen Medien, einschließlich Animationen und Marken im Raum. Meine Erfahrung als Designer zeigt, dass es entscheidend ist, Ideen zügig zu bewerten, um unbrauchbare Konzepte zu vermeiden. In der Designbranche haben wir oft mehr Interpretationsspielraum als in der Softwareentwicklung, da es keine klaren richtigen oder falschen Lösungen gibt. Die Entscheidungsfindung im Design ist anspruchsvoller und erfordert oft, Ideen durch den Bau von Prototypen zu konkretisieren. Das Bauen von Prototypen ermöglicht es, Potenziale zu verstehen und Entscheidungen auf einer konkreteren Grundlage zu treffen. Insgesamt sehe ich den Rapid-Prototyping-Prozess als entscheidend an, um den Interpretationsspielraum im Design zu überwinden und eine schnellere Innovationskurve zu erreichen.
Welche Rolle spielt Prototyping bei Atomic Branding?
Die Bedeutung des Prototypings wächst mit den Prozessen und ich versuche, es in den Arbeitsablauf zu integrieren. Idealerweise würde ich gerne mehr Möglichkeiten für Prototyping haben, nicht nur für die klassischen Interface-Elemente, sondern auch für Toolsets zur Gestaltung von Interaktionsmodellen, Animationen, Marken im Raum, Basic Shapes und so weiter. Wenn ich eine Idee habe, möchte ich schnell ins Prototyping kommen, um zu vermeiden, dass man die Potenziale einer Idee überschätzt und wertvolle Zeit in die Entwicklung von etwas steckt, das am Ende nicht funktioniert. Schnelles Entwickeln ermöglicht es, Ideen in Szenarien zu gießen und frühzeitig zu testen, ob sie den gewünschten Effekt haben. Ich spreche hier bewusst von Prototyping und nicht dem klassischen Skizzieren, denn wir beurteilen heute weit mehr als die Visualität eines Szenarios, sondern auch die Interaktionsmöglichkeiten und weitere Punkte, die mehr als Skizzen benötigen. Auch erfahrene Designer haben zwar einen Blick für die Abschätzung von Potenzialen, aber Prototyping bleibt eine wichtige Methode, um sicherzustellen, dass eine Idee in der Umsetzung funktioniert. Besonders für junge Designer möchte ich die Möglichkeit schaffen, Ideen durchzudenken und an den Punkt zu kommen, an dem man ihre Umsetzbarkeit realistisch einschätzen kann. Es geht darum, die Arbeit mit Ideen zu einem Punkt zu bringen, an dem man ihre Tragfähigkeit testet. Dies kann auch bedeuten, dass man nach intensiver Arbeit mit dem Designteam feststellt, dass eine Idee nicht funktioniert. Diesen Prozess möchte ich methodisieren und einen Lernprozess aufbauen, um sicherzustellen, dass Ideen nicht einfach verworfen werden, sondern dass aus Fehlern gelernt wird.
Wie geht ihr mit neuen Medien um?
Wenn du mich nach unserem Umgang mit neuen Medien fragst, würde ich sagen, wir müssen uns keine Sorgen machen. Unsere Herangehensweise basiert immer auf einer Leitidee. Diese Idee kann in unendlich vielen Kanälen, Medien und Deklinationen zum Ausdruck kommen, denn die Kurve der technologischen Entwicklung steigt exponentiell. Wir wissen nicht, für welche Medien wir in 10 Jahren gestalten, aber ich weiß, dass wir gestalten werden. Dazu müssen wir eine Haltung entwickeln, um mit den sich ständig ändernden Medien umgehen zu können. Die grundlegende Idee hinter der Marke, dieser eine Gedanke, der sie antreibt, ist immer wieder neu deklinierbar. Die Idee selbst ist zeitlos und kann in jedem Medium dargestellt werden. Es ist spannend zu beobachten, welche Möglichkeiten das jeweiligen Medium bietet, um Gedanken neu zu interpretieren. Es geht darum, die Potenziale jedes neuen Mediums zu erkunden und zu verstehen, wie es dazu beitragen kann, die grundlegende Idee auf neue und zielgenaue Weise zu präsentieren.